Reeperbahn und Hafenstrasse – 15.05.2022
Strahlender Sonnenschein. Braunweiß gekleidete Fußballfans und einige im Fortuna-Outfit schlendern gutgelaunt gen Stadion.
M. hat keine gute Laune. Hat sie nie. Heute ist es wieder mal besonders schlimm. „Ich bin keine Bettlerin!“ Aber mit über 60 keinen Halt im Leben. Keine Kraft, die Depressionen zu überwinden. Und niemand der dabei hilft. Zumindest nicht nach ihren Maßstäben. Und die sind speziell. Aber das sind sie bei vielen Menschen. Manchen wird geholfen, anderen nicht. Gegen ihre Geister können wir ihr nicht helfen, ausser ein bisschen zuzuhören.
C. ist auch nicht gut gelaunt. „Wie alt sind Sie?“ „49“. Irgendwie muss meine Augenbraue gezuckt haben, er sagt: „Aber ich sehe aus wie 80“. Bis Ende April im Krankenhaus. Leber kaputt, Niere kaputt, Magendurchbruch. Jetzt tut der Bauch wieder weh und die Beine sind auch nicht in Ordnung. Kurze Untersuchung: Bauchwasser, der ganze Flüssigkeitshaushalt völlig durcheinander. Er muss wieder ins Krankenhaus. Aber dort hält er sich nicht an die Regeln, erschient zu Untersuchungen nicht usw. Wir schärfen ihm ein, dass es wichtig ist geben einen Brief mit. Hoffentlich geht er hin. Wir können ihm nicht helfen.
M. können wir auch nicht helfen. Aber er hilft sich selbst. Was der komische Ausschlag mit Schmerzen am Hals ist, ist mir nicht ganz klar. Gut, kann man anbehandeln. Dann sagt er „ich will sowieso ins UKE. Die Suizidgedanken werden wieder stärker. Ich fahre da geich hin.“ Wir bestärken ihn, er ist klar und entschlossen. Das Bewusstsein ist der erste Schritt zur Heilung. Ich denke, er schafft das.
Manchmal ist es frustrierend, dass wir mit unseren begrenzten Mitteln und Sprechstunden einmal die Woche viele medizinische Probleme nicht lösen können. Und schon gar nicht die sozialen, die banale Erkrankungen oft erst zum Problem werden lassen. Die Scham oder auch das Unvermögen, sich trotz Krankenversicherung einen Arzt zu suchen. Das Leben auf der Straße, dass jede noch so kleine Wunde eitern lässt. Und zwar körperliche wie seelische Wunden. Auch im „normalen“ Medizinbetrieb lernt man über die Jahre zu akzeptieren, dass man nicht alle heilen und manchmal auch nicht helfen kann. Im Arztmobil erscheint das noch krasser, denn die Menschen haben oft nichts und niemand, der ihnen hilft. Keine Familie, keine Freunde, keinen Stolz mehr und höchstens die Basismedizin, die sie vom Arztmobil und anderen Organisationen bekommen. Und wenn sie dann unser Mobil verlassen, gehen sie manchmal zurück in die Leere. Manchmal fühlt man sich ganz schön hilflos…
Wer die Not sieht, muss trotzdem handeln!
Michael mit Linus, Luise und Toni, die Verpflegung (150 Essenspakete!) kam von Andrea, Gudrun und Uta